tremulus Review Bearbeiten

Sean Prestons tremulus (der Autor wünscht sich ein kleines “T”) ist Erzählspiel, bei dem eine Handvoll Spieler und ein Spielleiter gemeinsam eine Horror-Geschichte im Stile von H.P. Lovecraft erzählen. Jeder Spieler adaptiert eine von 11 Charaktervorlagen (“playbooks”), der Spielleiter überlegt sich ein Mysterium und der Rest ist eine ritualisierte Improvisation. Spieler benötigen noch 2W6.

tremulus hat Anfang des Monats mehr als $62.000 per Kickstarter eingesammelt und nun liegt die erste Version der Regeln in Form eines 246-seitigen PDFs im DIN/B5-Taschenbuchformat (bzw. dessen US-Äquivalents) für Unterstützer vor.

Das Layout ist extrem einfach und wie die spärlichen Illustrationen schwarz/weiß, liest sich daher aber auf dem iPad sehr gut. Die Bilder sehen wie programmatisch vektorisiert und damit ein bisschen wie grobe Holzschnitte aus — den Stil kann man mögen.

Preston nennt seine Regeln das Haiku-System. Es ist ein leicht modifiziertes Apocalype-World-System. Statt kleinteilig Aktionen zu simulieren, können Spieler und Spielleiter je nach Situation und Charakter vorgegebene Spielzüge (“moves”) machen, über deren Erfolg, Teilerfolg oder Misserfolg ein Würfelwurf entscheidet. Die Geschichte wird dann entsprechend weitergesponnen. Dabei würfeln immer die Spieler und nie der Spielleiter, der relativ frei bestimmen kann, in wie weit seine Spielzüge die Charaktere beeinflussen.

Die Charaktervorlagen beschreiben alle möglichen Spielzüge der Spieler und man kann nach einigen einfachen Anpassungen sofort mit dem Spiel beginnen. Die Rolle des Spielleiters halte ich dagegen für anspruchsvoller, da er die Geschichte im Blick haben muss und aufgefordert ist, den Spielern mit seinen Zügen immer wieder Steine in den Weg zu werfen, die sie zwar stolpern aber nicht sofort scheitern lassen. Seine Maxime ist, dass Leben der Charaktere interessant zu gestalten.

Ein Charakter wird durch die fünf Basisattribute Vernunft, Leidenschaft, Macht, Glück und Empathie (Reason, Passion, Might, Luck und Affinity) beschrieben. Man verteilt hier insgesamt 3 Punkte zwischen -1 und +2. Dazu kommen Reichtum (Wealth) — in der Regel 1W6 — und Geheimwissen (Lore) — in der Regel 0. Dieses kann man später für besondere Züge oder Rituale ausgeben. Jeder Charakter kann 6 Punkte physischen Schaden (Harm) und 6 Punkte geistigen Schaden (Shock) einstecken, bevor er stirbt bzw. irrsinnig wird. Zum Vergleich: Waffen richten vielleicht 2-4 Punkte Schaden an.

Um zu entscheiden, ob ein Spielzug klappt, wird 2W6+Attribut gewürfelt. Bei 10+ klappt es, bei 7-9 ist es ein Teilerfolg und unter 7 ein Misserfolg. Jemanden von etwas zu überzeugen ist beispielsweise ein Wurf auf Empathie. Im Erfolgsfall, so legen die Regeln nun fest, macht ein NSC, was man von ihm will, wenn man ihm etwas verspricht. Bei 7-9 macht der NSC es auch, will aber erst sehen, dass das Versprechen eingehalten wird. Bei 6- weigert er sich. In diesem Fall darf der Spielleiter einen Gegenzug machen. Allgemein ist 10+ ein unbedingter Erfolg und 7-9 ein Erfolg mit einem Harken, der eine Reaktion des Spielleiters folgen lässt. 6- ist ein Fehlschlag, dessen Konsequenz der Spielleiter definiert.

Ein interessanter Spielwert ist noch das Vertrauen (Trust), das jeder Charakter zu allen anderen Charakteren hat. Hier kann man entsprechend der Spieleranzahl viele Punkte zwischen -3 und +3 verteilen und definiert so, ob einem ein anderer Charakter am Arsch vorbeigeht (-3) oder der beste Freund ist (+3). Dieser Wert kann zu einem Wurf addiert werden, wenn man einen anderen Charakter helfen will oder aber macht es um so schlimmer, wenn man ihn sterben sieht.

Ausrüstung und Verbrauchsgüter werden abstrakt über Reichtum oder den bislang noch nicht erwähnten Wert Vorrat (Stock) abgehandelt. Dadurch kann z.B. ein Arzt nicht beliebig häufig heilen. Je mehr Vorrat er einsetzt, desto einfacher wird sein Spielzug, doch der Vorrat ist eben begrenzt.

Das war’s eigentlich auch schon, was die Regeln angeht und der Rest ist ein Frage- und Antwortspiel zwischen Spielern und Spielleiter. Dieser ist aufgefordert, jeweils die Situation zu schildern und nach den Aktionen der Spieler zu fragen. Dabei soll sich die Welt real anfühlen. Die Charaktere sind keine Superhelden. Es sind normale Leute, die in eine mehr oder minder fatale Situation stolpern und versuchen, irgendwie zu überleben –– oder interessant draufgehen.

Dem Spielleiter geben die Regeln eine Reihe von Vorschlägen für Spielzüge an die Hand, wie z.B. “Bringe sie auseinander”, “Setze jemanden gefangen” oder “Bringe ihn/sie in Gefahr”, “Deute eine kommende Gefahr an”, “Nimm ihnen etwas weg”, usw. Dies wird um diverse Tipps und Anwendungsbeispiele ergänzt, wie man die Spieler herausfordert, ohne willkürlich oder langweilig zu agieren. Ich weiß nicht genau, wie vollständig und fertig die jetzigen Regeln sind, aber ein paar mehr Klarstellungen, gerade was NSCs und die Beispiele angeht, würde ich mir noch wünschen.

Eine schöne Regel ist, dass der Spielleiter jedes Mal, wenn ihm das System das Recht gäbe, den Charakteren zu schaden, er stattdessen auch “schlechtes Karma” für den Spieler sichtbar sammeln kann, damit es dann später um so schlimmer kommt.

tremulus kommt noch mit einem Baukasten (Playset) für ein geheimnisvolles Städtchen namens “Ebon Eaves”, in dem es nicht mit rechten Dingen zugeht, doch so weit habe ich leider die Regeln noch nicht gelesen. Gemeinsam trifft die Gruppe hier Entscheidungen über verschiedene Eigenschaften des Städtchen und bekommt so für jedes Spiel eine immer wieder andere Basis.

Generell ist die Aufgabe des Spielleiters, eine Bedrohung zu definieren, mit der die Charaktere konfrontiert werden. Sie ist nach dem folgenden Schema aufgebaut: Man definiere einen Rahmen (Framework), bestehend aus einem oder mehr Handungssträngen (Threads), die jeweils ein Motto (Texture) und einige Gefahren (Hazards) haben. Gefahren können eine mächtige Einzelperson, eine Gruppe, die Umgebung oder etwas ganz anderes sein können. Indem man sich aus einer Liste abstraktiver Motivationen etwas heraussucht, soll hier die Kreativität angeregt werden.

Vielleicht will ein verrückter Gelehrter sich an der Welt rächen, indem er das Tor zu einer anderen Welt öffnet — wofür er ein Menschenopfer braucht und daher ein Mädchen entführt — und ein Lynchmob will währenddessen einen zu Unrecht für die Entführung verantwortlich gemachten ermorden. Das ganze findet in einer verregneten Nacht in einer neuenglischen Kleinstadt statt.

Um ein Gefühl für den Umfang des PDFs zu bekommen: 46 Seiten (DIN/B5) beschreiben die Grundregeln, 44 Seiten die 11 Charakterschablonen. Der Spielleiter lernt auf 85 Seiten, wie er seinen Teil zur Geschichte beiträgt. 67 Seiten beschreiben Ebon Eaves.

Fazit: Ich bin sehr neugierig auf das System. Während ich mir es als Spieler sehr gut vorstellen kann, einen Charakter zu verkörpern, macht mir die Notwendigkeit für den Spielleiter, viel und schnell zu improvisieren und dabei eine interessante Geschichte zu erzählen noch ein bisschen Angst, denn ich bin als Spielleiter in einem “traditionellen” Rollenspiel gerne gut vorbereitet. Natürlich obliegt es nicht nur dem Spielleiter, sondern der ganzen Gruppe, ihre Kreativität in die Geschichte zu stecken, aber noch kann ich mir nicht so recht vorstellen, wie das abläuft.

Einige Tage später…

Nach einem kurzen Testspiel und einem “richtigen” Spiel über vier Stunden muss ich sagen: tremulus rockt.

Ich würde es tagesaktuell dem Original von Chaosium und der Savage Worlds-Variante vorziehen (Trail of Cthulhu kenne ich noch nicht).

Die Vorlagen (“playbooks”) haben den Spielern gefallen und einen schnellen Einstieg und überzeugende Charaktere ermöglicht. Ich freue mich schon auf die versprochenen weiteren 36 Charaktere, die man als Kickstarter-Unterstützer bekommt. Würfeln habe ich als Spielleiter wider erwarten überhaupt nicht vermisst. Ich lauschte der sich entwickelnden Geschichte, plante meine Züge und hatte mehr als genug damit zu tun, das Spiel am Laufen zu halten und meine NSCs zu spielen.

Ich fand meinen “hazard track” ein bisschen schwach und hätte mir gewünscht, dass Regelbuch wäre hier etwas weniger abstrakt und würde mich stärker inspirieren. Natürlich kann man sich immer etwas ausdenken und eigentlich hat es auch gut funktioniert, aber ich wollte das Verfahren schon gerne so nahe am Buch halten wie möglich.

Worum ging es in unserem Spiel?

Drei Charaktere (der Professor, der Antiquar und der Journalist) hatten eine Einladung zur Premiere des neusten Schauspiels von Otto-Karl Breuer, einem Skandalregisseur im Berlin der 20er Jahre. Dort erlebten sie einen Mord und einen immer surealer werdenden Empfang und mussten schließlich ein Schauspiel mit ansehen, “das die Welt verändern würde”, wie in der Einladung statt und bei dem das Publikum geopfert werden sollte, um ein Tor in zur einer anderen Welt zu öffnen um “etwas” hindurchzulassen. Sie machten Smalltalk mit Gästen, waren geschockt über einen Mord in der Damentoilette und das Desinteresse von Breuer und seiner “rechten Hand” Mayer, wollten fliehen und die Polizei rufen, kamen aber nicht von dem alten Fabrikgelände weg, in dessen Konstruktionshalle das Spektakel stattfand, stolperten über einen Gefangenen und einen Außerweltlichen, fanden verstörte Schauspieler und gerieten immer tiefer in ihr Verderben, ohne wirklich zu verstehen, was da eigentlich passierte. Sie zogen bei allen physischen Auseinandersetzungen den Kürzeren, flohen dann ohne zu entkommen, sahen Dinge, die sie nicht wahrhaben wollten und gingen schließlich nacheinander bei hilflosen Versuchen zugrunde, irgendetwas dagegen zu tun.

Der Professor starb auf der Bühne, bei dem Versuch, einen Schauspieler zu retten, der als Opfer für eine tentakelbewehrte Monstrosität auserkoren war, konnte aber zumindest noch das Ende der anderen mitansehen. Der Antiquar konnte fliehen, musste dazu aber den bewusstlosen Journalist fallen lassen, der darauf hin von dem im Chaos fliehenden Publikum fast todgetrampelt wurde. Als der Antiquar reuevoll zurück kam, sah seine beiden anscheinend toten Begleiter, vor allem aber das außerirdische Etwas, was ihm geistig den Rest gab. Was aus dem Journalisten wurde, haben wir offen gelassen, doch wahrscheinlich ist er von dem Monster getötet worden.

Regeltechnisch könnten alle überlebt haben, da sie Schaden in permanente Nachteile eintauschen hätten können, aber für einen One-Shoot war das Ergebnis auch so erinnerungswürdig und härter, als wir es bei anderen Cthulhu-Abenteuern je hatten. Mir als Spielleiter hat das so jedenfalls sehr gefallen.

Die Würfel-Regeln treten angenehm in den Hintergrund, helfen aber dennoch, die Geschichte zu entwickeln und sorgen für den notwendigen Nervenkitzel, denn jeder Wurf ist wichtig. Ein Fazit war, dass die Freiheit der Spieler, aktiv an der Geschichte mitzuarbeiten, etwas Neues ist, das erst noch erlernt werden muss. Es kann dadurch aber IMHO nur noch besser werden.